barbara

» Seit er weg ist, ist er mein Schutzengel. Immer an meiner Seite. Das wird er immer bleiben. «

Sonntag, der 17. Oktober 1993. An diesem Abend ging ich schlafen, um am nächsten Morgen mein alltägliches Leben zu leben, mich um mein Baby zu kümmern, eine Übersetzung fertigzustellen. An diesem Abend ging ich schlafen, ohne ihn gesehen oder gesprochen zu haben – meinen besten Freund. Ich ging schlafen mit dem Wissen, er ist da. Ich ging schlafen, ohne zu ahnen, dass sich alles ändern sollte. Ich würde ihn nie wieder sprechen, ihm nie wieder in die Augen schauen. Denn am nächsten Tag war er nicht mehr da – er war tot. Herman war mein bester Freund. Er starb an jenem Tag den Jimi-Hendrix-Tod. Die Tatsache, dass er nicht mehr da ist, schmerzt immer noch. Tagtäglich. Nach all den Jahren ist die Narbe kaum verblasst. Wenn ich mich in Menschenmassen aufhalte, halte ich Ausschau nach seinem Blick, seinen Augen. Wir waren so unterschiedlich und dennoch verwandte Seelen. Seine dunkle Seite spiegelte sich in meiner wieder. Und gegenseitig verstärkten wir unsere Sonnenseiten.

Er war ein Misfit. So wie ich. Die Leute redeten hinter unserm Rücken über uns, über unsere Freundschaft, darüber, dass wir nicht zueinander passten. Wie konnten sie das nur beurteilen? Unsere Freundschaft war geprägt davon, uns gegenseitig zu verbessern. Wir glaubten aneinander. Wir unterstützten einander. Wir waren immer im Frieden miteinander. Wenn kein anderer mehr zu uns hielt, hielten wir uns umso fester. Ich schätzte ihn dafür, dass er glücklich war, wenn ich es war, und dass er traurig war, wenn ich traurig war. Herman und ich haben alles miteinander geteilt: die Liebe zur Musik, zur Kunst, zu unserer Stadt. Tränen, Lachen, Schweigen, Gespräche, leichte und unbeschwerte Momente, aber auch dunkle, traurige Augenblicke – all das machte unsere Freundschaft bedingungslos, tiefgehend, aufrichtig und vor allem unzerstörbar.

Manchmal haben wir nächtelang die Stadt unsicher gemacht, Ginger Ale getrunken, geraucht und gelacht. Oh Gott, wie ich diese Nächte vermisse! Wie ich seine dreckige Lache vermisse und seine warme Seele! Wir haben auch nächtelang einfach nebeneinander auf dem Bett gelegen, uns gehalten und über Gott und die Welt gesprochen. Nichts und niemand konnte uns trennen. Wenn es ihm schlecht ging, hab ich ihn aufgefangen und versucht, ihm Sicherheit zu geben. Oh Gott, wie ich auch diese verletzlichen Momente vermisse! Seine Dankbarkeit, seine Tränen, seine warmen Umarmungen. Herman war mein bester Freund. Ein Freund, der so ehrlich, warmherzig, liebevoll und einfühlsam war wie kein Zweiter. Ein Mensch mit tiefen Abgründen, welche er mir nie verborgen hat, weil er Vertrauen zu mir hatte. Ein selten zu findender Goldschatz. Seit er »weg« ist, ist er mein Schutzengel. Immer an meiner Seite. Das wird er immer bleiben. Alles was ich erlebe, teile ich mit ihm. Ich schicke ihm meine Eindrücke und Gefühle ins Universum. Wie ein täglicher Brief an ihn. Seit Hermans Tod hat sich für mich vieles verändert: Ich habe keine Geduld mehr für bestimmte Dinge. Nicht weil ich arrogant geworden bin, sondern einfach nur, weil sein Verlust ein Wendepunkt in meinem Leben war. Ein Punkt, an dem ich keine Zeit mehr mit dem, was mir missfällt oder mir wehtut, verschwenden will. Ich will nicht mehr denen gefallen, die mich nicht mögen. Ich will nicht mehr die lieben, die mich nicht lieben oder die anlächeln, die mich nicht anlachen. Ich habe mich entschlossen, nicht mehr mit Verstellung und Unehrlichkeit zu koexistieren. Ich war immer schon ein Rebell. Herman nannte mich liebevoll »Krawallbud«, weil ich mich für Menschen lautstark stark machte, deren Stimme verstummt oder deren Körperhaltung gebeugt war.

Ich werde mich auch nach Hermans Tod nie an Klatsch und Gerüchte gewöhnen. Ich mag weder energieraubende Konflikte noch haltlose Vergleiche. Ich glaube an eine Welt der Gegensätze. So, wie Herman es getan hat. In Bezug auf Freundschaften sollte es nie an Loyalität und Commitment mangeln. Ich komme nicht klar mit Menschen, die keine Komplimente, keine Ermutigung, keine Zuneigung oder Liebe geben können. Herman konnte immer Liebe geben. Bedingungslose. Er war mein bester Freund. Er war ein Misfit, aber ein Wunderbarer! Warum ich euch meine Geschichte erzähle? Weil das Leben in einem einzigen Moment nie wieder dasselbe sein kann und alles was euch je etwas bedeutet hat, kann für immer weg sein. Küsst die Menschen, die ihr liebt und kuschelt euch ein wenig näher an sie heran. Nehmt keine Sekunde eures Lebens als selbstverständlich an. Vor allem nehmt die Menschen um euch herum nicht als selbstverständlich an, denn man weiß nie, wann man jemanden das letzte Mal sehen, küssen und umarmen kann. Schließt nie einen Tag ohne Frieden ab. Begegnet grundsätzlich erst einmal jedem Menschen mit Freundlichkeit, Offenheit und ohne Vorurteile. Seid offen für Andersdenkende. Sie können euren Horizont erweitern. Wendet euch Außenseitern zu, sie können euer Leben bereichern. Sagt euren Liebsten jeden Tag, dass ihr sie liebt. Seid immer authentisch. Verpasst keine Gelegenheit, eure Gefühle zu zeigen. Streitet euch, aber vertragt euch wieder. Sprecht die Dinge aus, die euch auf dem Herzen liegen. Kämpft um die Menschen, die es wert sind. Wachst miteinander. Schätzt jeden Augenblick, denn keiner kommt je zurück. Und jeder Einzelne ist wertvoll. Auch wenn es nicht immer direkt so scheint. Mit Herman war jeder Augenblick wertvoll. Er war mein bester Freund.

Barbara beweist, dass eine tiefe und innige Freundschaft auch über den Tod hinaus in dankbarer und ewiger Liebe fortbestehen kann. Trauer ist Liebe ohne Zeit und ohne Ort.